Sexueller Missbrauch passiert im Unterschied zu einer Vergewaltigung im unmittelbaren familiären und gesellschaftlichen Umfeld des Opfers. Er zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Da der Täter im Umfeld des Opfers bleibt und auch positive Rollen einnimmt, ist der Missbrauch oft schwieriger zu therapieren als eine Vergewaltigung. Bei einer Vergewaltigung kommt der Täter fast immer von außen, ist dem Opfer unbekannt und verlässt dessen Umfeld wieder. Im Leben des Opfers hat er eine “rein negative” Rolle und-da er von außen kommt erfährt das Opfer nach der Tat häufig familiär und gesellschaftlich mehr Unterstützung. Die Straftat ist durch medizinische Untersuchungen an der Frau unmittelbar danach eindeutig feststellbar. Sexueller Missbrauch hingegen hinterlässt oft keine körperlichen Spuren und hat, da der Täter meistens im familiären Umfeld zu finden ist, kein eindeutiges Ende. Auch hier geht es wie bei einer Vergewaltigung weniger um Sex (außer bei Pädophilen) als vielmehr um Macht. Um weiter im Familiengefüge “überleben” zu können, identifiziert sich das Opfer mit dem Täter und nimmt damit an seiner Statt die Schuld- und Schamgefühle an. Als Konsequenz hält es sich für unmittelbar schuldig. Während des Missbrauchs findet eine Entwertung des Opfers statt. Es ist tief davon überzeugt, weniger Rechte zu haben als andere Menschen, weswegen es auch keine Hilfe holt. Ähnlich wie bei einer Vergewaltigung suchen sich die Täter ihre Opfer aus. In mehrköpfigen Familien werden so zumeist die Kinder “ausgeguckt”, die wenig emotionale Unterstützung erfahren und so introvertiert sind, dass sie ihre Gefühle zurückhalten. Diese Eigenschaften bestätigen den Täter darin, dass das Opfer nicht seinen eigenen Gefühlen vertraut und Hilfe holen bzw. die Situation frühzeitig verlassen wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Opfer oft z.B. im Bus vorher beobachtet werden und grenzüberschreitendes Verhalten (z.B. immer dichter heranrücken) an ihnen getestet wird. Im Unterschied zu einer Vergewaltigung wird beim Opfer ein Verdrängungsmechanismus aktiviert und die verletzten Persönlichkeitsanteile werden abgespalten. Oft kommt der Betroffene erst durch ein weiteres traumatisches Ereignis oder einen Zusammenbruch (Burnout) dazu, zunächst den Missbrauch und danach seine Auswirkungen auf das jetzige Leben zu realisieren. Denn oft kann er sich nicht mehr an die sexuellen Übergriffe und die damit verbundenen Gefühle von Ohnmacht, Scham und Schuld erinnern. Statistiken zeigen, dass 6 % aller Kinder (Mädchen und Jungen) missbraucht werden, wobei davon auszugehen ist, dass durch Verdrängung und “Nicht-Anzeige” die Dunkelziffer wesentlich höher ist.

Written by Renate Weber