Was ist Gelassenheit? Gelassenheit bedeutet für mich in herausfordernden Situationen einen tiefen Atemzug zu nehmen, um erstmal Klarheit zu gewinnen. Es bedeutet für mich, im Umgang mit aggressiven Menschen erst einmal einen Moment lang nichts zu tun. Es ist erwiesen, dass heftige Gefühlsreaktionen auf solche Menschen häufig auf eine Verletzung in der Vergangenheit/Kindheit hinweisen. Ebenso ist es offensichtlich, dass viele Menschen ihre innere Unzufriedenheit (mit sich) bei anderen durch Anschuldigungen „abladen“ möchten. Wenn ich so ein „Manöver“ bemerke, bleibe ich still und beobachte was in mir passiert. Dadurch, dass ich mich schweigend abgrenze, trete ich aus dem ewigen Teufelskreis aus Rechtfertigung und gegenseitiger Abwertung heraus. Es gelingt mir immer wieder und immer mal wieder nicht. Wenn es mir nicht gelingt, werte ich mich dafür nicht ab, denn ich bin eine Übende-jeden Tag meines Lebens. Wenn es mir gelingt, fühlt es sich erst einmal fremd an. Ganz so als hätte ich den anderen tatsächlich doch mit Erklärungen  davon überzeugen können, dass ich in Ordnung bin. Mittlerweile ist mir bewusst, dass es vielmehr darauf ankommt, dass ich mich selbst in Ordnung finde. So kann ich –ähnlich wie im Tai-Chi, den Aggressor durch „innere Stärke“ abwehren, indem ich ihm wenig Angriffsfläche biete und meine Energie bei mir behalte. Hierzu gibt es eine schöne Anekdote aus dem englischen Unterhaus: Ein Lord wurde auf’s Übelste von einem Abgeordneten beschimpft. Er jedoch blieb gelassen und ging still in sich hineinlächelnd weiter. Er wurde daraufhin von einem anderen Abgeordneten angesprochen: „Warum hast du ihm nichts erwidert?“ –„Es war nicht notwendig“, antwortete der Lord daraufhin.

Das wollte ich mit Ihnen, liebe Leser, teilen.

Renate Weber

Ich hatte nie wirklich Geduld in meinem Leben: HÖHER, SCHNELLER; WEITER- das waren meine Ziele. Und obwohl ich wusste, dass das Leben unter diesem konstanten inneren Druck nicht gut für meine Gesundheit war, schaffte ich es nicht, langsamer zu werden. Ich wusste einfach nicht, wie. Es war gefühlt so, als ob ein kleines Männchen auf meiner Schulter sitzen würde, das unaufhörlich schrie: „Geh schon schneller, du hast keine Zeit!“. Und wenn ich gerade eine Aufgabe erledigt hatte meldete es sich erneut: „Hey, keine Zeit zu entspannen. Es gibt noch so viel zu tun!“ Bis heute gibt mir dieses Phänomen das Gefühl, dass ich nicht entspannen konnte, bis ich meine täglichen Aufgaben alle erledigt hatte und alle neuen Projekte, die mir einfielen notiert hatte. Auf diese Art nahm ich mir nie eine „Auszeit“, um das zu genießen, was ich bereits geschafft hatte. Die Energie, die ich aus dem Abarbeiten der Projekte zog brauchte ich restlos für neue Projekte auf. Da es selten Pausen zwischen meinen „Projekterfüllungstagen“ gab, schlich sich das Gefühl in mir ein, nie zum Ende zu kommen und-was noch schlimmer war: nie wirklich irgendwo anzukommen. Ich lebte wie eine Getriebene, angetrieben hauptsächlich von mir selbst. Dies jedoch machte mich noch ungeduldiger mit mir selbst und mit dem Leben im Allgemeinen. Bis zu dem Tag an dem ich Marie traf. An diesem Tag begann ich mein Verhalten ernsthaft zu hinterfragen.

Es war ein neblig-grauer Novembermorgen als ich meinen Vater im Pflegeheim besuchte. Neben mir lief Kalle, mein Assistenzhund. Die Atmosphäre im Altersheim fühlte sich irgendwie taub an. Taub und leer, denn von den alten Menschen hörten man weder laute Gespräche noch Lachen. Ich war glücklich, als Kalles Anwesenheit diesen Lethargie unterbrach, denn nun hörte ich von vielen Seiten Kommentare über ihn und wie er die alten Menschen an Hunde aus ihrer Kindheit erinnerte. Manche wollten ihn streicheln, andere schauten ihn nur an, wie ein Wesen aus einer vergangenen Welt. Und genau das gab mir einen Eindruck davon, wie abgeschirmt diese Menschen lebten. Innerlich war ich immer noch gehetzt und wartete voller Ungeduld auf den Lift, damit ich diesen Besuch abschließen und meine anderen Pflichten „fertigmachen“ konnte. Als die automatischen Türen des Liftes sich öffneten stand dort eine zierliche, kleine Frau mit weißen langen Haaren. Ihre Hände waren auf einen Rollator gestützt. Sie sah mich an und sagte: „Sie sind eine wunderschöne Frau“. Ich lächelte. Als ein weiterer Besucher einstieg, sagte sie: „Sie sind ein wunderschöner Mann.“ Da verstand ich, dass sie dieses Kompliment wie eine Begrüßung nutzte, um in Kontakt mit den Menschen zu kommen. Ich fragte sie, was sie da in ihrem Gehwägelchen hatte. –„Das ist ein Bild von meinem Mann.“, antwortete sie. Ich blickte genauer hin und sah eine schwarz-weiß Fotographie mit einem jungen Mann. Auf dem Rollator war ein Aufkleber mit dem Namen und der Adresse der alten Dame. Ich las, dass sie Marie hieß (Name wurde geändert). Neben dem Foto von ihrem Mann sah ich ein altes Fotoalbum. Es sah aus, als ob es 100 Jahre alt wäre und seine Seiten waren zerknittert von der ständigen Abnutzung der Erinnerungen. Nun sah ich auch eine Bürste und eine Spiegel. Ich blickte Marie an, die nun mit dem anderen Besucher über die vielen Jahre sprach, die er kam um seine Frau hier zu besuchen. Als ich mich wieder dem Rollator zuwandte wurde mir plötzlich bewusst, dass ich in einigen Jahren genauso leben könnte wie Marie. Ich begriff, dass es keine schützende Mauer gab, die mich vor Alter und Demenz schützen würde. Und auch wenn ich immer geglaubt hatte, ich könnte das „Genießen“ auf später in meinem Leben „verschieben“, begann ich nun zu verstehen, wie zerbrechlich das Leben tatsächlich war. Und plötzlich spürte ich den inneren Druck nicht mehr: Das kleine Männchen war verstummt. Als ich aus dem Lift stieg, sah ich wie Marie langsam den Gang entlangschlurfte. Sie schien ihr Leben und die Erinnerung daran in ihrem Rollator vor sich herzuschieben-tagein-tagaus. Als ich an die Tür meines Vaters klopfte, spürte ich, dass Kalle weg wollte. Für ihn wie für mich waren die Besuche hier sehr anstrengend. Mein Vater war froh, mich zu sehen. Für mich jedoch war es schmerzhaft zu sehen, wie viele Dinge er mit jedem Mal nicht mehr konnte oder schlichtweg vergessen hatte. Ich versuchte mit ihm über die Vergangenheit zu reden-die einzige Zeit in der er sich „wohlfühlte“. Wir gingen mit Kalle spazieren-was die Atmosphäre des Heims weniger bedrückend erscheinen ließ. Mein Vater wollte zurück „nach Hause“. Er lud mich in die nächstgelegene Kneipe ein. Als wir die Kreuzung überquerten wurde mein Vater schneller; er schrie einen Lastwagenfahrer an, dass er stehenbleiben sollte. In der Bar hatte der Besitzer bereits ein Glas Wein für meinen Vater bereitgestellt. Mein Vater wusste jedoch nicht mehr, ob 5 Euro genug waren, um den Alkohol und meinen Espresso zu bezahlen. Die Weinschenke war ein trauriger Ort: Hier gab es noch nicht einmal ein Brötchen zu kaufen. Die Stammgäste kamen nur, um zu trinken, zu rauchen und sich hinter dem Tresen weniger einsam zu fühlen. Mein Hund spürte, dass etwas hier nicht in Ordnung war. Er sah mich fragend an und ich war erleichtert als mein Vater seinen Wein ausgetrunken hatte und wir endlich gehen konnten. „Ich werde später wiederkommen“ rief mein Vater dem Wirt über die Schulter zu. Dieser nickte nur stoisch. In mir war ein Anteil der schreien wollte: „Vater, warum zerstörst du so dein Leben?!“, aber ich schwieg. Ich erinnerte mich an bessere Zeiten als mein Vater und ich Ausflüge unternommen hatten und zum Schluss in ein nahegelegenes Restaurant eingekehrt waren. Diese Zeiten-das wurde mir schmerzlich klar- waren nun unwiederbringlich vorbei. Seit diesem Tag im Pflegeheim  versuche ich zu akzeptieren, dass ich den Alkoholkonsum meines Vaters nicht verändern kann. Was ich ändern kann, ist das Leben im hier und jetzt zu genießen und geduldiger zu sein.

Ich habe meine inneren Kinder in diesem Bild gemalt. Es sind meine inneren Anteile, die durch die Gewalterfahrung verletzt und in Schockstarre gefallen sind. Nun sollten sie die Erfahrung machen, gerettet zu werden und so in meine Persönlichkeit integriert zu werden.

Krake mit Penismund missbraucht 9jährige Nati

Nati= mein jüngeres Ich

Während sich meine inneren Anteile veränderten, konnte ich plötzlich der Wut ein Gesicht geben, die ich all die Jahre gegen mich selbst gerichtet hatte. Der Wutteufel entstand und half mir zu verstehen, dass unter meiner Wut eine tiefe Trauer saß in meiner Not als Kind nicht gesehen worden zu sein.

Bergerstraße 200, 60385 Frankfurt am Main

In meiner Ausstellung und meiner Lesung geht es mir darum, dass ich auch anderen Betroffenen von sexueller Gewalt durch meine Vergangenheitsaufarbeitung Mut machen möchte, ihren eigenen Weg zu gehen und die Schmerzen der Vergangenheit weitestgehend zu überwinden. Auch wenn diese Schmerzen vielleicht nie ganz verschwinden werden, so ist ihnen das im Leben Erarbeitete wie auch die nährenden Begegnungen mit Menschen gegenüberzustellen.
Mit meinem Heilungsmärchen möchte ich sowohl den Schmerz der Vergangenheit würdigen, als auch an der Protagonistin, dem Rehmädchen Anuschka zeigen, wie sie sich aus den kranken Familienzusammenhängen lösen konnte. Diese Loslösung und Distanzierung war und ist die Voraussetzung für mich, ein selbstbestimmtes und damit erfüllteres Leben zu führen.
Ich hoffe mit dieser Lesung und der Ausstellung eines kleinen Teils meiner Gemälde Menschen ansprechen zu können, die sich an einem Wendepunkt in ihrem Leben befinden und für Lösungswege offen sind.

Renate Weber

www.wiedergeborene.de
kontakt@wiedergeborene.de

Was ist „Der Tag des Schrubbers“? Es ist der Tag, an dem ich etwas mehr über das Leben, Fehler und vor allem über das „Schulspiel“ gelernt habe. Als ich 9 Jahre alt war wurde ich von einem Familienmitglied sexuell missbraucht. Seitdem und obwohl es hätte „andersherum“ sein müssen, fühlte ich mich schuldig und schämte mich für die, die ich war. Meine Mutter machte ein Tabu aus „der Angelegenheit“ und wieder glaubte ich, dass es irgendwie meine Schuld gewesen sein musste, denn ich liebte meine Familie und natürlich liebten sie mich auch. Später, als Erwachsene fand ich mich immer häufiger in Situationen wieder (privat und beruflich), in denen Menschen mit dem Finger auf mich zeigten, wenn ich einen Fehler gemacht hatte oder selbst wenn ich keinen Fehler gemacht hatte und sie nur ihre Aggressionen „über mir ausschütteten“. Weil ein Teil in mir immer noch glaubte, selbst schuld zu sein, stand ich zunächst nicht für mich ein. Auf diese Art und Weise war ich das ideale Opfer oder „leichte Beute“ für alle, die ihren inneren Ärger in den jeweiligen Situationen herunterschlucken, aber das „Schuldspiel“ dazu nutzten, dass jemand anderes ihren „inneren Müll“ wegbrachte. Dies war so, bis zu dem Tag des Schrubbers. Es war ein gewöhnlicher Tag, ich stand früh auf, ging mit meinem Assistenzhund Kalle und bereitete mich auf die Arbeit vor. Kurz bevor ich ging, öffnete ich meine Wohnungstür und fand dort einen Schrubber, meine Kehrschaufel gefüllt mit Dreck, meinen Handfeger und einen Brief meiner Nachbarin. Mein Herz sank: Es war Freitag und ich hatte einen vollen Arbeitstag mit den Schülern vor mir, für den ich alle meine Kraft brauchte. Ich wusste, dass, wenn ich den Brief meiner Nachbarin jetzt las er meine Gedanken belasten würden und meine Energie blockieren würde. Entgegen meinem inneren Drang, alles sofort zu lösen, ließ ich alles so wie es war und fuhr in die Schule. Alles klappte gut, bis kurz nach der Mittagspause. Ich stand vor meinen Schülern als plötzlich mein Handy klingelte. Ich hatte Angst, dass irgendetwas mit meinen Eltern war und nahm den Anruf entgegen. Es war der dogwalker, der mit Kalle spazieren ging, wenn ich lange Arbeitstage hatte. Nach einem Streit mit einem anderem Hund war Kalle weggelaufen und hatte mehrmals die Straße überquert. Er hatte schließlich Angst, lief zu dem Dogwalker zurück und ließ sich erleichtert anleinen. Trotzdem wollte der Dogwalker ihn nicht mehr auf seine Hundespaziergänge mitnehmen, weil ihm das Risiko zu hoch war. Ich fühlte mich so, als ob man bei mir den Stecker gezogen hätte: einen Augenblick lang siegte die Überlastung. Dann schlug ich dem Dogwalker vor, ihn nach Schulschluss gleich zurückzurufen, um die Dinge zu klären. Als ich endlich zu Hause ankam, fand ich natürlich wieder den Schrubber, die gefüllte Dreckschaufel und den Brief vor meiner Tür. Kalle begrüßte mich freudig und in diesem Moment wusste ich, dass ich weder den Dogwalker besänftigen würde noch das „Nachbarproblem“ lösen könnte. Nach der anstrengenden Woche war ich einfach zu erschöpft und gereizt. Es war ein wunderschöner Tag und es war das erste Mal, dass ich beschloss, mich nicht sofort „auf die Dinge zu stürzen“, die man mir buchstäblich vor die Füße geworfen hatte. Obwohl alles in mir schrie, einen rechtfertigenden Brief zurück an meine Nachbarin zu schreiben, beschloss ich für mich eine Auszeit. Ich nahm Kalle mit an mein Fahrrad, machte seine Leine an dem Seitenhaken fest und fuhr mit ihm zu den nahegelegenen Seen. Es dauerte eine Stunde, bis wir dort waren. Auf der Rückfahrt ließ ich Kalle in seinem roten Hundeanhänger ausruhen und fuhr uns beide sicher nach Hause. Mein Ärger war verflogen und so las ich den Brief meiner Nachbarin. Sie schrieb, dass sie sich vor dem Treppenhaus ekle, das kurz nachdem die Putzfrau es gereinigt hatte, wieder dreckig war. Seufzend kehrte ich die Treppenstufen ab und reinigte sie von dem Dreck, den ich, mein Hund und die 4 anderen Hunde und der Dogwalker hinterlassen hatten. Ich wusste, ich brauchte den Abend zum Ausruhen und so schrieb ich dem Dogwalker, dass ich die Dinge erstmal überschlafen wollte. Bevor ich erschöpft neben meinem „Ausreißer“ einschlief fragte ich mich, warum meine Nachbarin nicht einfach mit mir gesprochen hatte, anstatt so ein Putzarsenal vor meiner Tür aufzubauen. Warum hatte sich mich aus der Gruppe von den 3 Hundebesitzern ausgewählt? Irgendwo aus meinem Unterbewussten stieg schmerzhaft die Erkenntnis auf, dass derartige Situationen sich wiederholten, weil tief in meinem Inneren und bevor mich jemand anders beschuldigen konnte, gab ich mir dort schon vorsorglich alle Schuld. Es war Montag, als ich endlich meine Nachbarin traf und sie fragen konnte, warum sie mich an diesem Morgen nicht direkt angesprochen hatte. Ich versuchte ihr zu erklären, dass es 5 Hunde im Haus gab, dass ich oft hinter Kalle herputzte aber dass der Hundemann die Hunde während meiner Arbeitszeit abholen würde und seinerseits auch Dreck von seinen Waldspaziergängen mit ins Haus tragen würde. Sie versuchte mich mehrmals zu unterbrechen und wiederholte das, was sie in ihrem Brief geschrieben hatte. Ich versprach ihr, mit den anderen Hundebesitzern zu sprachen und so einen „Putzplan“ zu organisieren. Im Gehen rief sie mir durch die zufallende Eingangstür zu: „Ich will meinen Schrubber zurück!!!“ In diesem Moment begriff ich, dass ja, es gab tatsächlich ein „Dreckproblem“ aber zusätzlich dazu schien auch meine Nachbarin ein Problem zu haben, mit mir und den anderen direkt zu sprechen. Als ich nun den Schrubber neben meiner Tür betrachtete, erkannte ich plötzlich, dass es ja nicht ich gewesen war, die ihn dort platziert hatte und dass es daher auch nicht meine Verantwortung war ihn „zurückzubringen“. So ließ ich ihn einfach neben meiner Tür stehen und war erstaunt darüber, dass meine Nachbarin ihn nicht abholte.  An diesem Tag-dem Tag des Schrubbers-verstand ich, dass  es ein Körnchen Wahrheit in der Kritik der Nachbarin gab und ich trotzdem in Ordnung war, so wie ich war. Und in dieser Nacht schwor ich mir selbst, mich niemals mehr als „Mülleimer“ für die Aggressionen anderer Menschen benutzen zu lassen. Ich sprach mit meiner Nachbarin mit den 3 Hunden und wir teilten die „Kehrwoche“ unter uns auf. Ich sagte auch dem Dogwalker Bescheid, der Kalle wieder aufgenommen hatte, unter der Bedingung, dass er von nun an einer langen Schleppleine lief. Er versprach, hinter sich sauber zu machen. Wenn ich nun meiner „Schrubbernachbarin“ begegne, grüße ich sie höflich, weil es ja nicht sie als Person war, die das Problem war. Das Problem war, dass ich in der Vergangenheit nicht gut zu mir selbst gewesen bin und die harte Kritik anderer meine selbstgemachte Misere noch verstärkt hat. Der Schrubber steht mittlerweile immer noch neben meiner Tür- wie ein stolzes Denkmal, das mich stets wieder daran erinnert, selbst zu mir zu stehen. Das ist die Geschichte, die ich mit Euch teilen wollte, liebe Leser.


Als ich 16 war, wollte ich meinen Vater über Weihnachten auf der Insel El Hierro besuchen. El Hierro ist die kleinste der 7 kanarischen Inseln und so musste ich über Teneriffa fliegen, um dort die kleine Propellermaschine nach El Hierro zu besteigen. Ich war erschöpft als ich in dem öffentlichen Bus saß, der mich vom Südflughafen zum Nordflughafen bringen sollte. Ich hoffte inständig, dass diese Reise bald vorüber sein würde und ich mich endlich ausruhen konnte. Das Wetter wurde immer ungemütlicher: Die Sonne verschwand hinter dicken grauen Wolken und der immer stärker werdende Wind kündigte einen Sturm an. Als ich am Nordflughafen ankam, musste ich noch 3 Stunden warten, bis mein „kleiner“ Flug überhaupt angekündigt wurde. Ich versuchte ein bisschen zu schlafen, doch die andauernden Lautsprecheransagen in Spanisch, Englisch und Deutsch hielten mich wach. Als endlich mein Flug auf dem Bildschirm erschien, hieß es, dass er Verspätung hätte. Ich war genervt, hatte aber immer noch Hoffnung, dass ich mich ja bald in dem Apartment ausruhen konnte, das mein Vater in El Hierro gemietet hatte. Weitere 2 Stunden später las ich, dass neben mein Flug „cancelled“ stand. Obwohl draußen nun wirklich ein ungemütlicher Sturm tobte und der Flughafen bis auf die Passagiere meines Fluges auffallend leer war, konnte ich einfach nicht glauben, dass mein gebuchtes Flugzeug nicht doch noch kommen würde, um mich „abzuholen“. Mir war kalt, ich war erschöpft und ich wusste auch nicht, was ich nun tun sollte. Der Flughafen wurde von den Angestellten geschlossen und ich begriff, dass es verboten war, hier zu „übernachten“. Entgegen allen Widerständen war ich geistig immer noch damit beschäftigt auf die „Insel meines Vaters“ zu gelangen-und zwar mit der Fähre. Ich sprach mit einigen Touristen, doch sie versicherten mir, dass sie gerade vom Hafen kamen und kein Schiff mehr auslaufen würden. Wir teilten uns die Fahrt in einem Taxi und übernachteten in einem nahegelegenen Hotel. Als wir am nächsten Morgen wieder am Flughafen ankamen, hatte unser Flug erneut „Verspätung“. Ich dachte unentwegt an die kleine Propellermaschine über dem Meer, so als ob ich das Flugzeug dadurch „magisch anziehen“ könnte. Ich fing an zu schwitzen, denn ich kämpfte einen inneren Kampf-in meinem Kopf, weil ich dieser frustrierenden Situation so endlich entfliehen wollte. Als wir unser Flugzeug landen sahen, war ich voller Freude. Das dauerte allerdings nicht lange. Schon beim Start machte das Flugzeug Schlenkerbewegungen. Die starken Winde „schoben“ das Flugzeug von hinten (ein Flugzeug kann gegen starken Wind gut starten, es ist jedoch schlecht, wenn der Wind „von hinten“ kommt. Das war der Grund, warum der Flug auch am Vortag gecancelled wurde). Das Flugzeug sank einige Meter ab und ich wurde von einer tiefen Angst ergriffen. Ich war total erstarrt, krallte mich an den Lehnen des Flugzeugs fest und wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. IN diesem Moment begriff ich, dass wir  bei dem Versuch, gegen den Sturm zu kämpfen, sterben konnten. Neben mir saßen einige spanische Teenager des örtlichen Fußballteams. Sie sahen meine Anspannung und sagte aufmunternd: ꜟTranquila! ꜟEl avion sale!“ (Bleib ruhig! Das Flugzeug wird sicher ankommen!) Ich war erstaunt wie fröhlich diese jungen Spanier trotz der Umstände geblieben waren. Während ich innerlich gegen die Umstände „ankämpfte“, schienen sie sie gelassen zu akzeptieren und mit dem „Flow des Lebens“ mitzugehen. Der Flug erinnerte mich währenddessen an eine Achterbahnfahrt: alle Augenblicke „stürzten“ wir in Luftlöcher, dann wieder neigte sich das Flugzeug bedrohlich zur Seite. Wals wir endlich auf dem kleinen Flughafen von El Hierro landeten war ich total erleichtert-und komplett nass geschwitzt.

Wieso erzähle ich das alles? Weil ich glaube, dass ich immer noch viel Energie „verschwende“, indem ich nicht akzeptieren will, welche „Wege“ mein Leben „geht“. Wie mit 16 Jahren versuche ich immer noch alles  zu verändern, indem ich es in meinem Kopf „bekämpfe“. Aber-vor kurzen habe ich begriffen, dass das genauso unmöglich ist, wie jemanden zu verändern. Ich habe oder hatte hohe Ansprüche an mein Leben und alle um mich herum. Es ist erst seit Kurzem, dass ich verstanden habe, dass die einzig sinnvolle „Lösung“ ist, es einfach „gehen zu lassen“. Ich kann es nicht ändern, wenn die Dinge nicht „nach mir“ gehen, ebenso wenig, wie ich es ändern kann, dass die meisten Menschen anders denken als ich. Aber es gibt die Möglichkeit eines „Fünkchens Freiheit“: Indem ich mich entscheide, welchen „Weg“ ich nehme: Denjenigen, bei dem ich gegen alles und jeden kämpfe oder den anderen, bei dem ich akzeptiere, dass es jetzt einfach so ist. Dann nehme ich einen tiefen Atemzug -und gehe mit meinem Hund spazieren. Und dass ist es, was ich mit Euch teilen wollte, liebe Leser, dass wir manchmal eben doch eine Wahl haben „glücklich zu sein“ oder „den alten Pfaden“ zu folgen. Renate Weber


Das ist mein Assistenzhund Kalle. Er ist gerade ein Jahr alt und noch in Ausbildung. Unter Anleitung meiner Hundetrainerin führe ich sein Training durch. Während mein Leben „vor Kalle“ oft aus dem täglichen Kampf bestand, aufzustehen oder insbesondere an den Wochenenden nach draußen zu gehen, so musste ich mich nun besser organisieren und disziplinierter sein. Und hier kommt das Geheimnis: Ich hätte es nicht geschafft, wenn es „nur“ für mich alleine gewesen wäre. Ich glaube manchmal ist es einfacher diese Dinge mit für einen anderen zu tun. Trotzdem, manchmal, wenn Kalle den Mond anheult, alte Nachbarn oder sogar Mülltonnen verbellt frage ich mich, wer hier eigentlich wem hilft. Faktisch habe ich mehr Arbeit als früher und der Hund hat schnell alles „vergessen“, wenn wir draußen sind. Es scheint so, als ob es ewig dauert, bis er etwas sicher überall kann (Hunde lernen örtlich). Doch das stimmt nicht ganz: Wie ich selbst ist Kalle abgelenkt von unzähligen Gerüchen, Geräuschen und Bewegungen. Und wo er mir zu Hause noch Dinge apportiert, lässt er sie draußen fallen und vergisst sie komplett J.

Morrie Schwartz sagte einmal: „Als Kind und wenn wir alt werden brauchen wir Menschen, die uns helfen. Aber hier kommt das Geheimnis: Wir brauchen auch in der Zwischenzeit Menschen.“[1] Das dies mehr als wahr ist, erkannte ich als Kalle weglief: Die Nachbarn aus meiner Straße suchten nach ihm. Wir fanden ihn und brachten ihn sicher nach Hause. Später an diesem Abend begriff ich, dass Kalle mir bereits „geholfen“ hatte: Unser täglichen Spaziergänge hatten mich in positiven Kontakt mit meinen Nachbarn. Seine unbändige Lebensfreude, wenn er „die Welt draußen erschnupperte“ hatte mich aus meiner selbst auferlegten Isolation und dem Gefühl, dass alles „zu viel“ ist herausgeholt. Ohne es selbst zu bemerkten, hatte ich über meine Mauer aus Angst und Depression geschaut und die Vergangenheit losgelassen. Und selbst jetzt, wenn ich das Wochenende endlich „erreicht“ habe und vor Erschöpfung und Reizüberflutung schlafe, ist mein haariger Freund mit mir hinter dieser Mauer. Und das ist es, was ich teilen wollte: Selbst wenn du das Gefühl hast, dass es zwecklos ist und du nur am Geben bist, die Tiere werden es dir zurückgeben. Wenn Kalle meine Hände leckt oder in der Supermarktschlange hinter mir sitzt, um mich zu schützen, dann weiß ich, dass der ganze Aufwand es mehr als wert war.


[1] Albom, Mitch, Tuesdays with Morrie, New York 1997.