Während sich meine inneren Anteile veränderten, konnte ich plötzlich der Wut ein Gesicht geben, die ich all die Jahre gegen mich selbst gerichtet hatte. Der Wutteufel entstand und half mir zu verstehen, dass unter meiner Wut eine tiefe Trauer saß in meiner Not als Kind nicht gesehen worden zu sein.

Ich stellte mir vor, wie es wäre, die zu sein, die ich wahrhaftig bin. Ich begriff, dass die Schuld-und Schamgefühle, die mich ein ganzes Leben lang begleitet hatten nicht meine waren. Sie waren auf mich übertragen worden. Ebenso die Selbstentwertung, die bei der sexuellen Gewalt stattgefunden hatte. So entstand mit der Federfrau eine Befreiung und gleichzeitig auch eine positive Sicht auf meine Weiblichkeit.

Doch bevor ich zu meinem wahren “Ich” finden würde, musste ich mich erst von all dem lösen, was meine Lebensenergie so lange gebunden hatte. So erschuf ich eine wahrhaft magische Welt: Das Änderland. Und auch wenn es hier Schrecken und Ungeheuer gab, so hatte ich nun die komplette Kontrolle über diese Welt. Sie stand einer Welt gegenüber, in der ich mich oft ausgeliefert und abgelehnt gefühlt hatte. Das Heilungsmärchen wirkte in meiner Autobiographie wie eine Wundsalbe: Man konnte die Narben der Vergangenheit immer noch erkennen. Doch sie waren nicht mehr so hässlich, dass ich sie glaubte, verstecken zu müssen.

Trotz meiner Heilungsmärchen “Fulna” (Die Drachin schlüpft und bringt die Welt eines Chefredakteurs durcheinander) und “Wiedergeborene” musste ich mir eingestehen, dass ich noch nicht für die Herausforderungen des Alltags gewappnet war. Ich litt weiterhin darunter, dass meine Familie den sexuellen Missbrauch verharmloste, darunter dass ich im Kollegium auf Ablehnung stieß und meine Kräfte im Umgang mit den Schülern zu sehr aufrieb. Dies brachte mich dazu, erneut in der Klinik Zuflucht zu suchen. Hier brachte die Gruppentherapie unerwartete Konfrontationen aus denen ich jedoch Erkenntnisse für den Umgang im Alltag ableiten konnte. Diesen Prozess habe ich in meinem bald erscheinenden Buch “Wiedergeborene II: Weggefährte” niedergeschrieben.

Ich begriff, dass mein niedrigerer Selbstwert zusammen mit meinen Schuld-und Schamgefühlen dazu beigetragen hatte, dass Mitmenschen mich als Zielscheibe für ihren eigenen Ärger auserkoren hatten. Nur wenn ich all meinen inneren Anteilen selbst eine gute Mutter sein konnte und lernte mich selbst zu lieben, würden diese ständigen Angriffe aufhören.

Wie das Reh Anuschka durchlief ich ein Abgrenzungstraining: Was gehörte zu mir und was waren die Konfliktanteile der anderen? Ich lernte, dass, wenn ich in meine Energiepunkte hineindachte, mir z.B. die Leute auf der Straße mehr Platz machten und ich weniger oft angerempelt wurde.

Je mehr ich innerlich mit all meinen Anteilen verbunden war, desto besser konnte ich mich aus “nicht-nährenden” Beziehungen lösen. Ich schaffte es, bei Familienbesuchen nur so kurz zu bleiben, wie es mir guttat. Indem ich mich aus den kranken Beziehungen löste, konnte ich in meinem Leben immer ein bisschen mehr Erfüllung und Zufriedenheit finden. Meine Heilungsmärchen, meine Tiere, Freunde und meine Aufenthalte im buddhistischen Kloster halfen mir auf diesem Weg.

Und nun möchte ich beginnen, aus meinem Heilungsmärchen “Der letzte Tanz” vorzulesen. Auf dem Bild zu sehen sind das Reh Anuschka und ihr Bruder Ambiguton in Harmonie.

Nach dieser trügerischen Harmonie geschieht die sexuelle Gewalt. Hier verlor ich nicht nur das Vertrauen in meine Familie, sondern vor allem in mich selbst.

Das Rehmädchen Anuschka symbolisiert den verletzten Anteil in mir, der seit dem Gewalterleben in einer Art Schockstarre verharrte. Dadurch, dass ich ihn zwei Jahrzehnte später durch eine Drachin retten ließ, konnte ich wieder zu inneren Ruhe finden und die Albträume ließen nach.