…den Schrecken aus der Vergangenheit mit Mut begegnen: Mit meinen Heilungsmärchen

von Renate Weber

Vor 5 Jahren wurde ich mit der Diagnose Burnout in eine psychosomatische Klinik aufgenommen: Hier wurde schnell klar, dass es nicht nur Überlastung war, die meinen Zusammenbruch verursacht hat, sondern tiefliegende Traumata. Bis dahin hatte ich meine Familiengeschichte zu Papier gebracht, bei der auch die sexuelle Gewalt “zu Tage trat” unter der ich als Mädchen in meiner Familie gelitten hatte. Von Albträumen verfolgt rieten mir meine Therapeuten, ein Heilungsmärchen zu schreiben.

Ich habe meine inneren Kinder in diesem Bild gemalt. Es sind meine inneren Anteile, die durch die Gewalterfahrung verletzt und in Schockstarre gefallen sind. Nun sollten sie die Erfahrung machen, gerettet zu werden und so in meine Persönlichkeit integriert zu werden.

So entstanden meine inneren Helfer Fulna, die Schutzdrachin und Kai. Kai ist ursprünglich ein Schattenanteil, der mir immer wieder den gleichen Alptraum beschert hat:

Krake mit Penismund missbraucht 9jährige Nati

Nati= mein jüngeres Ich

Während sich meine inneren Anteile veränderten, konnte ich plötzlich der Wut ein Gesicht geben, die ich all die Jahre gegen mich selbst gerichtet hatte. Der Wutteufel entstand und half mir zu verstehen, dass unter meiner Wut eine tiefe Trauer saß in meiner Not als Kind nicht gesehen worden zu sein.

Ich stellte mir vor, wie es wäre, die zu sein, die ich wahrhaftig bin. Ich begriff, dass die Schuld-und Schamgefühle, die mich ein ganzes Leben lang begleitet hatten nicht meine waren. Sie waren auf mich übertragen worden. Ebenso die Selbstentwertung, die bei der sexuellen Gewalt stattgefunden hatte. So entstand mit der Federfrau eine Befreiung und gleichzeitig auch eine positive Sicht auf meine Weiblichkeit.

Doch bevor ich zu meinem wahren “Ich” finden würde, musste ich mich erst von all dem lösen, was meine Lebensenergie so lange gebunden hatte. So erschuf ich eine wahrhaft magische Welt: Das Änderland. Und auch wenn es hier Schrecken und Ungeheuer gab, so hatte ich nun die komplette Kontrolle über diese Welt. Sie stand einer Welt gegenüber, in der ich mich oft ausgeliefert und abgelehnt gefühlt hatte. Das Heilungsmärchen wirkte in meiner Autobiographie wie eine Wundsalbe: Man konnte die Narben der Vergangenheit immer noch erkennen. Doch sie waren nicht mehr so hässlich, dass ich sie glaubte, verstecken zu müssen.

Trotz meiner Heilungsmärchen “Fulna” (Die Drachin schlüpft und bringt die Welt eines Chefredakteurs durcheinander) und “Wiedergeborene” musste ich mir eingestehen, dass ich noch nicht für die Herausforderungen des Alltags gewappnet war. Ich litt weiterhin darunter, dass meine Familie den sexuellen Missbrauch verharmloste, darunter dass ich im Kollegium auf Ablehnung stieß und meine Kräfte im Umgang mit den Schülern zu sehr aufrieb. Dies brachte mich dazu, erneut in der Klinik Zuflucht zu suchen. Hier brachte die Gruppentherapie unerwartete Konfrontationen aus denen ich jedoch Erkenntnisse für den Umgang im Alltag ableiten konnte. Diesen Prozess habe ich in meinem bald erscheinenden Buch “Wiedergeborene II: Weggefährte” niedergeschrieben.

Ich begriff, dass mein niedrigerer Selbstwert zusammen mit meinen Schuld-und Schamgefühlen dazu beigetragen hatte, dass Mitmenschen mich als Zielscheibe für ihren eigenen Ärger auserkoren hatten. Nur wenn ich all meinen inneren Anteilen selbst eine gute Mutter sein konnte und lernte mich selbst zu lieben, würden diese ständigen Angriffe aufhören.