Wenn ich morgens mit meinem Assistenzhund Kalle spazieren gehe, bin ich noch müde und ungehalten. Meist ist es um 6 Uhr morgens, wenn mein schwarzer, fusseliger “Wecker“ mich wachstubst. Stelle ich mich weiter schlafend fängt er an immer lauter zu gähnen, was dann in ein genervtes Stöhnen übergeht und schließlich in ein gekränktes Bellen. Während mein Vierbeiner sofort in den Tag „booted“, brauche ich noch eine Tasse Espresso um meinen Kreislauf in den „Gassimodus“ hochzufahren. Das beobachtet er kritisch von der Küchentür aus. Denn die Küche ist der einzige Raum in meiner Wohnung, der nur mir vorbehalten ist.
Vorsichtig schiebe ich mir zum Kaffee noch ein paar Schokostücke in den Mund. Ich fühle mich beobachtet und als ich Kalle zuwende merke ich, dass dieser gerade die Augen verdreht. Er springt auf, rennt zur Wohnungstür und wieder zurück um mir unmissverständlich verstehen zu geben, dass es höchste Zeit für sein dringendes Bedürfnis ist. Hastig schütte ich den restlichen Kaffee in mich hinein.
Im Schlepptau werde ich buchstäblich in den Tag gezogen und Kalles Laune bessert sich erst als er gegen einen Poller pinkeln kann. Während ich mich in mein warmes Bett zurückwünsche, zieht mich mein Assistenzhund in Ausbildung wie ein Skilift durch die Landschaft. Über einen schmalen Feldweg kommen wir mitten in das Naherholungsgebiet. Hier ist es wunderschön: Die Sonne beleuchtet die Felder und Wiesen zunächst blutrot. Das Licht wird immer heller und innerlich verneige ich mich vor diesem fabelhaften Naturschauspiel. Wir sind weit genug weg von der Landstraße, so dass ich Kalle von der Leine lasse. Und schwupp -sehe ich nur noch die Spitze von seinem Schwanz und seine Ohren zwischen dem hohen Gras auf und niederhüpfen. An dieser Stelle habe ich immer die Wahl, ihn an der Leine zu lassen und danach mit einem wenig ausgelasteten Hund schlechter im Homeoffice arbeiten zu können. Oder ich lasse ihn frei und sehe zu wie er sich seiner Freiheit freut. Neben kreuzenden Kaninchen gibt es jedoch noch ein anderes Risiko: Kalle liebt Fuchsscheiße. Diese Möglichkeit eines negativen Ausgangs unseres gemeinsamen Spaziergangs kommt mir erst wieder ins Gedächtnis als ich Kalle abrufe und anleine: Der Ring an seinem Geschirr scheint mit Dreck beschmiert. Als ich versuche, den Dreck abzurubbeln kommt mir der süßlich beißende Geruch der Fuchsscheiße entgegen. Mir wird übel. Mehr noch: Ich bin stinksauer. Die nächsten 2 Stunden sind vorprogrammiert: Ich muss erst den unwilligen Kalle duschen, und dann. da der Wiederholungstäter gegen die Waschprozedur ankämpft, mich selbst. Auch wenn es mir gelingt ihn gründlich danach abzutrocknen, sorgt ein weiteres Schütteln von ihm, dass ich nun auch das Bad putzen muss. Danach wandert sein Geschirr mit den vielen gebrauchten Handtüchern nebst meinen Anziehsachen in die Waschmaschine.
Ich fluche innerlich. Ich fluche nochmal, dass ich Kalle von der Leine gelassen habe. Ich versuche dies vor mir selbst zu rechtfertigen und rufe mir nochmal die Bilder in den Kopf wie Kalle durch das Feld zu fliegen scheint. Und in diesem Moment wird mir klar, dass Kalle mich gerade mit seinen ganzen Macken zurück ins Leben holt. Durch ihn habe ich nicht nur mehr Arbeit, sondern gleichzeitig mehr Freude am Leben. Ich begreife, dass die Wohnung nie wieder so sandfrei werden wird wie ohne Hund. Doch wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, um wieviel reicher mein Leben an Naturerlebnissen, Begegnungen und ständiger Bewegung geworden ist, so ist Kalle jedes Sandkorn wert, dass er emsig zurück in die Wohnung trägt. Und das bringt mich auf einen Gedanken: Auch wenn ich morgens fluche, weil ich nicht so lange schlafen kann, weil ich mehr putzen muss, wenn Kalle sich in Fuchsscheiße wälzt, so stehen dem gegenüber die vielen Momente der Lethargie und der Starre, die mich „vor der Anschaffung von Kalle“ haben ins Bett flüchten lassen. Und wenn ich das wie zwei Fotos nebeneinanderstelle, so fühle ich eine Welle von Dankbarkeit für diesen „wilden“ Assistenzhund in Ausbildung. Und ich begreife, dass er genauso richtig ist, wie er ist. Und während ich Kalle mit dem Handtuch abrubbele und ihm den verhassten Hundebademantel umschnalle, da schaut mich der kleine Kerl so voller Vertrauen an, dass ich spüre, dass er Zeit seines Lebens mein treuer Begleiter bleiben wird.